Generationswechsel
Jazzfestival in Moers Festival 2003 |
Nichts
genaues weiß man nicht und die Befragung des Großen
Orakels brachte auch kein rechtes Licht ins Dunkel. Hinter den
Kulissen scheint es zwischen den Festival-Machern und dem WDR mächtig
gekracht zu haben. Jedenfalls steht der große Sender des
Westens seit diesem Jahr nicht mehr als Sponsor zur Verfügung
und manch einer wird das als Abgesang auf das ehrwürdigste
deutsche Festival für "Jazz-und-gute-Musik" gewertet
haben.
Dem Flair des Festivals tut das keinen Abbruch, denn wie jedes Jahr
gab es reichlich Regen und für offene Ohren eine Menge feiner
Klänge und Stimmen der rund zwei Dutzend Bands und in diversen
Projekten zu entdecken. Schwerpunkte lagen in diesem Jahr auf der
Musik der Schweiz und - dem Wunsch des Festival-Partners AKTION
MENSCH nachkommend - auf der regen Teilnahme "behinderter"
Künstler. |
Eine Übersicht
über alle Festivals in Deutschland gibt es hier. |
Dass der Globalmusik in
Moers viel Raum gegönnt wird, ist bekannt. Festival-Auftakt
waren die 10 Bläser und Trommler des Gangbe Brass Band
aus Benin, die mit ihrem traditionellen Brass&Drum lautstark
Ahnenkult betreiben. Nicht unpolitisch gehen sie mit konkreten
Texten und hohem Spaßfaktor gegen die Missstände ihrer
Heimat an. |
CD
"Togbe" |
Mariem Hassan
Zwei exquisite Konzerte konnten wir am Samstag Abend erleben.
Zuerst die Gruppe der Saharauis-Frauen (wir erinnern uns noch an den
Auftritt der Mujeres Saharauis auf dem
Festival
Kulturen der Welt 2001), die unter dem Namen Mariem Hassan
& Leyoad sogar das eingefleischte Jazz-Publikum mit den
eindringlichen bluesigen Gesängen begeisterte. Stars sollte es
eigentlich nicht geben bei dem seit 30 Jahren im Exil lebenden Volk,
aber wenn ein Volk keine andere Möglichkeiten sieht, sich in
der Welt Gehör zu verschaffen, als die Musik, ist es nur eine
Frage der Zeit, wenn sich besondere Lichtgestalten
herauskristallisieren, wie eben Mariem Hassan, die mit ihrem
charismatischen Auftritt und ihrer unter die Haut gehenden Stimme
dieser Gruppe zu recht ihren Namen gibt. Da ist die großartige
Desert-Blues-Gitarre des -immerhin- bekanntesten saharauischen
Gitarristen, Nayim Alal fast schon Beiwerk des 5-köpfigen
Frauenchors, bei dem durchaus nicht nur Mariem brillierte, sondern
auch ihren Kolleginnen reichlich Raum für eigene
Interpretationen bot. |
CD:
"Nar" - Nayim Alal
CD: Mariem Hassan & Leyoad |
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Die Überraschung des
Festivals (aus weltmusikalischer Sicht) war aber sicherlich der
furiose Auftritt der jungen Garde katalanischer MusikerInnen der
Band Ojos de Brujo: ein wohl sortiertes Chaos musikalischer
Klangfetzen aus katalanischer Folklore, die clever mit den
marschierenden Rhythmen der 4 fleißigen Perkussionisten an den
Cajons, Congas und Batteria und den intelligenten Kollagen eines
gezielt durchgeknallten DJs verwoben wurden. Einzig blass anfangs
die Sängerin Marina "Las Canillas" und die Flamenco-Tänzerin,
die offensichtlich nicht so recht wussten, was sie von dem in den Stühlen
fläzenden Publikum halten sollen und es dauerte eine Weile, bis
der Funke übersprang und dem Publikum klar wurde, dass dort ein
Generationenwechsel stattfand, der vielleicht für das Moerser
Festival Signalwirkung haben kann. |
CD:
"Bari" |
Ojos de Brujo
Bassist Juan Luis |
Ojos de Brujo
Sängerin und Tänzerin Elisa Belmonte |
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In diesem
Zusammenhang sei als Zwischenruf einmal darauf hingewiesen, dass
es in der Verwaltung der Stadt Moers gewisse Strömungen
geben soll, aus diesem etablierten Jazz-Festival ein Jugendfest
zu machen. Zwar sieht man als altgedienter Moers-Besucher (ich
darf stolz berichten, dass ich beim aller ersten Moers-Festival
1972 aufgeregter Junggast war) immer noch eine Menge "alter"
Gesichter, das Gros der Besucher ist aber absolut "Jung -
ledig - sucht ..." - und das ist gut so. Bands wie Ojos de
Brujo begeistern in Spanien ein sehr junges Millionenpublikum.
Dass sie eingeladen wird, zeigt, wie jung das alte
Moers-Festival sein kann. |
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Die Valiha ist
eine rohrartige Harfe mit knapp zwei Dutzend Saiten und die Musik
Madagaskars definiert sich quasi an diesem Instrument. Ausgerechnet
ein "behinderter" Musiker, der an der rechten Hand keine
Finger hat, wagte sich an dieses komplizierte Instrument. Aber Rajery
hat das nie gestört, seine Behinderung
hat ihn seit früher Jugend beflügelt, seine Musik und die
mitreißenden Konzerte gehören zu den Highlight vieler
Festivals. So auch im Zelt in Moers. Die schwül-warme Luft und
das rauschende Getrommel dicker Regentropfen auf dem Zeltdach
erinnerten ihn an die Sintflut artigen Regenfälle, die regelmäßig
die Straßen seiner Heimat in Sturzbäche verwandeln und
die Musiker fühlten sich sichtlich wohl, auch wenn das einzige
Loch im Zelt ausgerechnet über der Bühne war. Der
sympathische Rajery hatte die besorgten Blicke der Zuhörer
längst in Begeisterung verwandelt, als das Konzert vorbei war
und der Regen aufhörte, als hätte er zu dieser
Inszenierung am frühen Sonntag Abend dazu gehört. |
CD: "Fanamby" |
Die Dance Night in Moers gilt als Mutter aller Afrika-Nächte.
Auf vielen einst reinen Jazz-Festivals hat man sie gerne imitiert,
als die Macher erkannten, das Publikum geahnt hat und die Musiker
immer schon wussten: die Musik kommt vom schwarzen Kontinent und der
Jazz sowieso. Und nach der anstrengenden "richtigen" Musik
eines Festivals sei dem geneigten Jazz-Fan ein bisschen Entspannung
und Abtanzen gegönnt. (Sorry - keine Fotos wegen
Fotografierverbot) |
In der meistgehassten
Eissporthalle Deutschlands dauerte es ein Weilchen, bis die Massen
in Bewegung kamen. Sam Mangwana, der mit seiner Band seine
neue CD promoten wollte, musste dann auch nach dem dritten Stück
das Publikum fragen: "are you sleeping?". Dabei
war weniger die erwartungsvolle Gemeinde im Saal müde, sondern
wohl eher der Meister selbst oder besser: seine beiden Mädels,
die wie festgeklebt hinter den Mikros standen und auf ihre Frisuren
achteten. Seine Band funktioniert "Eins-A" - nicht mehr,
aber auch nicht weniger. So richtig Stimmung kam erst auf, als der
Chef seinen Gitarristen mal Spuren von Freiraum für ein
bisschen Soukous und Rumba ließ. Selten, dass eine CD besser
ist als das Live-Erlebnis. |
CD: "Cantos de Esperanca" |
Viel mehr Bewegung konnte
man von dem blinden Ehepaar Amadou&Mariam nun eigentlich
auch nicht erwarten. Aber weit gefehlt, denn die Band brachte mitreißende
Tanzmusik von der Bühne direkt ins Publikum. Eine unglaubliche
Backline mit dem Drummer Stéphane san Juan, dem
Bassisten Laurent Griffon und dem Djembe-Trommler Boubacar
Dembele sorgten für blitzsaubere Grooves, an dem auch Cheik
Tidiane Sek an den Tasten, der offensichtlich angesichts dieser
Power kapitulierte, nichts ändern konnte. Aber es sind natürlich
die Songs der beiden Hauptdarsteller, die letztlich diese Band mit
Ideen versorgen, die sie hüben und drüben des Niger aus
allen Landesteile des Musikreiches Mali zusammen suchen. Leider nur
zu kurz war das spannendste Konzert eines Abends, dessen Konzerte übrigens
durch den französisch/algerischen DJ Cosmomix kongenial
verknüpft wurden, der, wenn ihn auch niemand hat lächeln
sehen, unbedingt eine Bereicherung ist. |
CD: "Wati" |
In Moers standen seit der
ersten Dance Night 1985 schon eine Reihe schillernde Figuren auf der
Bühne: Lagbaja, Baaba, Femi, Salif, Carlinhos, Youssou, Pépé,
die Rail Band (warum eigentlich nur Männer?). Ja - und Khaled
war auch schon mal da gewesen. 13 Jahre jünger und etliche Kilo
leichter, sicherlich weniger professionell als heute, mit dem Cheb ("Junge")
als First Name und keinem Tross in Kompaniestärke im
Schlepp. Die lautstarke algerische Community im Saal war ebenfalls
erwartet stark vertreten und forderte schon lange vor dem Konzert
lautstark nach ihrem Idol. Daran änderte auch der zuverlässig
agierende DJ Cosmomix nichts, der die Massen feinfühlig
auf das Event vorbereitete und den Saal zwischen den 3 Konzerten am
Köcheln hielt. Tja und dann: "es werde Licht und es ward
Licht" und die Party ging los. Kein Zweifel, der Mann ist gut
und seine Band eine Spitzencombo. Wurden ihm Anno ´89 noch
Zehner zugesteckt (was die damals noch unerfahrenen Ordner als
Angriff auf Leib und Leben sahen) so hielt sich seine Nähe zum
Publikum heuer doch in Grenzen und nur bei seinen Klassikern
(wunderschön herzchen-zerreißend: Aicha) bemühte
er sich ernsthaft um Response, die er natürlich prompt bekam.
Seine hervorragenden Musiker erhielten nur selten Gelegenheit zu
Einzelvorstellungen und so war es das, was man erwartet hatte: die
perfekte Show eines Superstars, der alle Register ziehen kann.
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Letztlich sei
zu berichten, dass es wohl einige Veränderungen in der Führungsriege
des Festivals geben könnte. Verträge laufen aus, neue sind
nicht in Sicht und diesem/r und jenem/r spuken wohl Gedanken durch
den Kopf, die auf Veränderungen am Festival-Konzept hindeuten.
Aber wie eingangs erwähnt: Nix genaues weiß man nicht und
alles bleibt anders.
Auf Wiedersehen in Moers 2004
(Text und Fotos: KS) |
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