Folgende CDs sind im Global Music Shop erhältlich:
"Markscheider Kunst"
Krasivosleva
"Russendisko-Hits"
Vladimir Kaminer & Juri Gurzhy |
Es ist elf Uhr früh
in einer Wohnung in Hamburg Altona. Ein russischer Freund hat
Markscheider Kunst zu sich eingeladen. Das Hotel zahlt der
Veranstalter nur am Konzerttag. Zu siebt haben sie hier übernachtet.
Einer fehlt: ihr kongolesischer Leadsänger Seraphim Makangila.
Ihm wurden kurz vor Abreise in St. Petersburg auf der Straße
Geld, Uhr, Pass und sogar seine Schuhe gestohlen. Der Polizist
brauchte das Geld und Seraphim war einfach zur falschen Zeit am
falschen Ort, kommentiert die Band trocken.
Die afrokaribische
Rootskapelle aus St. Petersburg tourt schon seit einigen Jahren
durch Deutschland; selten mit den großen Gagen und schicken
Hotels. Noch immer ist die beste Afrosalsa Band Russlands, die in
St. Petersburg schon mit Manu Chao, Marc Ribot, den Skatelites uva.
spielte, hier zu Lande nur Insidern bekannt; einzig auf der CD
Russendisko (Trikont) sind zwei Songs von ihnen zu hören. Das
soll sich jetzt ändern, denn die Positive Force aus St.
Petersburg kommt diesmal mit ihrem ersten internationalen
Plattendeal in der Tasche nach Deutschland. Die Anerkennung können
sie gut brauchen, denn dann dürfte ihre Stimme auch zu Hause
mehr zählen, wo nach dem Ende des Sozialismus mehr und mehr nur
noch das schnelle Geld regiert.
In Hamburg findet gerade das Alternativa Festival St. Petersburg
statt, veranstaltet anlässlich der 300 Jahr Feier ihrer
Heimatstadt. Während Markscheider Kunst mit ihrem Mix aus
Latinbläsersätzen, kongolesischem Surf-Soukouss, Son und
Ska Punk hier abgefeiert werden, sind sie bei den offiziellen
Festivitäten zu Hause nicht dabei. Sie sagten ab, weil die
Veranstalter ihnen nur eine symbolische Gage zahlen wollten. Typisch,
war das, ärgert sich der Kopf der Band Sergei, niemand
unterstützt die Musik, alles in Russland wird dieser Tage auf
die Coca Cola Jugend ausgerichtet. Das Fernsehen besteht nur noch
aus Zucker und Titten. Von den russischen Medien hält
Sergei nicht viel. Vielfalt oder Kunst sind reinem Kommerz gewichen.
Gesendet wird etwas nur, wenn jemand dafür bezahlt. Sergei
wollte selbst unlängst eine Worldmusic Sendung auf einem
privaten Radio machen, da erwiderte man ihm er müsse sich erst
selbst einen Sponsor suchen. Hätte ich Shakira gespielt,
hätte ich schnell einen Sponsor gefunden, ist Sergeis
trockener Kommentar. Er selbst hatte in seiner Jugend mehr Glück:
Hätte ich nie Latinmusik im Radio gehört, sondern
nur den Mist der heute in den Medien läuft, würde ich so
etwas gar nicht kennen oder gar spielen. Ich hatte Glück, dass
in meiner Jugend Ernesto Lecuona & Cuban Boys groß waren.
Daher weiß ich heute was Rumba ist und was bullshit. Bis
Mitte der 80er hatte es gedauert bis in Russland Rock offiziell
anerkannt wurde; vorher war jede Form westlicher Musik verboten.
Eine Reggaeszene entstand erst Ende der 80er mit Perestroika, als
die ersten privaten Radios öffneten und andere Musiken zugänglicher
wurden. Der Optimismus ist heute gewichen. Und wenn Markscheider
Kunst mit einer Sache nichts zu tun haben wollen, dann mit Politik.
Der Staat unterstützt Kultur nur, wenn er etwas davon
hat. Schon während der Perestroika, erklärt Sergei, benutzten
sie die Rockmusiker und als sie sie nicht mehr brauchten, ließen
sie sie fallen, schau wo sie jetzt sind. In der Regierung
interessiert sich niemand für Kunst, sie denken nur daran wenn
Wahlen sind, sagt ja zu Jelzin, sagt ja zu Putin und dann zeigen sie
einen herum wie Eiscreme.
Die Rettung war für Sergei in den 90ern ein Club in St.
Petersburg mit Namen Tam Tam. Ich danke Gott dafür, dass
ich in diesem Umfeld aufwachsen konnte, erzählt Sergei in
gebrochenem Englisch, dort spielten sich die interessanten
Konzerte der Stadt ab. Alle traten dort auf; bis auf die Nazi Bands.
Was zählte war die Musik, nicht das Saufen. Viele der
russischen Alternativ Bands sind hier groß geworden Leningrad,
Tequillajazzz u.v.m. Ich hatte die Ehre 1996 den letzten Auftritt im
Tam Tam zu spielen. Am nächsten Tag stand die Maffia gemeinsam
(!) mit der Polizei vor der Tür. Das war das Ende. Seitdem geht
alles den Bach runter. Heute gibt es noch einen Club der ganz gut
ist, das Moloko. Live Musik hat es aber immer schwerer. Nur
noch die Diskotheken, in denen auch gleichzeitig Essen serviert
wird, verdienen gut und die setzen auf DJs, fährt Sergei
fort. Die Musiker von Markscheider Kunst studierten Mitte der 90er
alle noch, nebenbei spielten sie Rockabilly, später wechselten
sie dann zu Blues. Als wir dann Blues spielten, merkten wir,
dass uns jemand fehlte, der so etwas singen konnte. Also sagten wir
uns, es wäre gut einen schwarzen Sänger zu haben.
Seraphim, der aus dem Kongo kam, studierte mit uns; also fragten wir
ihn. Er spielte damals in einer kongolesischen Band und die hatte
sich mal wieder zerstritten, weil jemand aus Brazzaville dabei war
und jemand aus Kinshasa, Sergei lacht, er kam zur Probe,
hörte zu und als wir dann fertig waren, sagte er: kennt ihr
Soukouss? So kamen wir zum Soukouss. Ausgehend vom
kongolesischen Soukouss beschäftigten sie sich immer
eingehender mit afrokubanischer Musik, entdeckten Rumba, Son, später
Merengue, Cumbia, die karibische Musik und damit vor allem Reggae.
Gar nicht so leicht in Russland, wo es kaum Cd-Läden gibt, in
denen jede Art von Musik vorrätig ist; geschweige denn
Radiosendungen, in denen man Hintergrundinformationen finden könnte.
Sie hatten Glück, denn Sergei kannte einen der großen Monster
des russischen Rocks und der brachte ihnen von seinen Tourneen
die neuesten Platten mit. Die Verbindung zwischen Karibik und
Russland ist nur auf den ersten Blick überraschend. Schon im
Sozialismus gab es enge Verbindungen zu Kuba. In unserer
Kindheit gab es statt den Rolling Stones oder den Beatles Irakere
oder Arturo Sandoval im Radio zu hören, holt Sergei aus, Kinderfilme
wurden mit kubanischer Musik vertont, im russischen Schlager nahmen
sie viele dieser exotischen Rhythmen auf. Außerdem
gibt es, was Harmonie und Melodie angeht, große Ähnlichkeiten
mit russischer Ramans (Gypsy) Musik.
Ihren größten Hit (und legendären Ruf) hatten
Markscheider Kunst dann mit dem Song Money. Im
Song ging es eigentlich um die Legalisierung von Marihuana,
erzählt Sergei, Freunde von uns hatten zu dem Song ein
Video gedreht und das landete dann ohne unser Wissen - bei
MTV Russia, dort zeigten sie es täglich mehrere Male. Das war
absolut illegal, aber hat uns bekannt gemacht. Der Text geht so: Für
viele Leute ist Geld alles im Leben, für einen Rasta ist das
Marihuana. Für viele Leute ist ein schickes Haus alles im
Leben, für einen Rastaman ist das Marihuana ... Ihr
erstes Album Kem Byt mit dem Hit Money brachten sie 1998
heraus, gut vier Jahre nach dem sie es aufgenommen hatten. Es
erschien damals bei dem kleinen Indie Label Caravan Records;
Verkaufspreis ca. 3 Euro. Das russische Plattenbusiness ist hart.
Raubkopien sind mehr oder weniger legal. Das geht sogar so weit,
dass selbst die großen Plattenfirmen sich mit den Piraten
absprechen. Die Piraten warten nach einer Veröffentlichung
einige Monate mit dem Raubkopieren, zahlen dafür nur eine
kleine Lizenzgebühr an die legale Plattenfirma und
bringen dieselbe Cd dann für 2 Euro statt, der für legale
Tonträger üblichen, 12 Euro auf den Markt. Was
willst Du machen, fragt Sergei nüchtern, 15 Euro
ist der Mindestlohn in Russland, 70% unseres Publikums sind
Studenten und die haben einfach keine 12 Euro für eine Cd.
Das Ergebnis ist zwingend: Wenn Du nicht die Rolling Stones
bist, verdienst du nichts durch die Plattenverkäufe. Und an
Urheberrechte ist im Moment noch gar nicht zu denken, Russland ist
ein riesiges Land, wer soll das kontrollieren.
Es überrascht nicht sonderlich, dass es niemand aus dem
russischen Musikbusiness war, der Markscheider Kunst zu ihrem ersten
guten Plattendeal bei einem der großen russischen Labels Gala
Records verhalf, sondern ein Russe der schon einige Zeit im Ausland
lebt. Alexander Kasparov arbeitete früher bei Gala und ist
heute der Vize-Präsident von EMI Osteuropa in Berlin. Eines
Abends ging er mit dem A&R von Gala Records, in einem Club in
St. Petersburg zu einem Konzert von Markscheider Kunst. Die
beste Party der Stadt, wie eine Moskauer Zeitung unlängst
schrieb, brachte auch ihn kurze Zeit später dazu mit den
anderen Gästen auf den Tischen zu tanzen. Der örtliche A&R
hielt trotzdem nichts von der Idee die Band sofort zu signen. Er war
voll Skepsis gegenüber der eigenen Szene, fügte sich dann
aber dem Urteil seines Berliner Kollegen. So kamen Markscheider
Kunst, als eine der wenigen russischen Bands, an einen Deal mit
einer großen Plattenfirma Russlands. Jetzt landet ihre
aktuelle CD Krasivosleva über die EMI Verbindung (Gala
vertreibt deren Produkte exklusiv in Russland) bei Virgin und
erscheint zeitgleich in neun europäischen Ländern. Höchste
Zeit das auch der Westen den Osten nicht nur als Ablademarkt für
den eigenen Mainstreampop sieht. Weiter so. |
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