St. Petersburgs beste Party
Markscheider Kunst (Russland)
Rebellen jenseits des neuen russischen Mainstreams
Von Jay Rutledge - Juli 2003
Africa-Iwalewa
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Folgende CDs sind im Global Music Shop erhältlich:

"Markscheider Kunst"
Krasivosleva






"Russendisko-Hits"
Vladimir Kaminer & Juri Gurzhy
Es ist elf Uhr früh in einer Wohnung in Hamburg Altona. Ein russischer Freund hat Markscheider Kunst zu sich eingeladen. Das Hotel zahlt der Veranstalter nur am Konzerttag. Zu siebt haben sie hier übernachtet. Einer fehlt: ihr kongolesischer Leadsänger Seraphim Makangila. Ihm wurden kurz vor Abreise in St. Petersburg auf der Straße Geld, Uhr, Pass und sogar seine Schuhe gestohlen. „Der Polizist brauchte das Geld und Seraphim war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort“, kommentiert die Band trocken.

Die afrokaribische Rootskapelle aus St. Petersburg tourt schon seit einigen Jahren durch Deutschland; selten mit den großen Gagen und schicken Hotels. Noch immer ist die beste Afrosalsa Band Russlands, die in St. Petersburg schon mit Manu Chao, Marc Ribot, den Skatelites uva. spielte, hier zu Lande nur Insidern bekannt; einzig auf der CD Russendisko (Trikont) sind zwei Songs von ihnen zu hören. Das soll sich jetzt ändern, denn die Positive Force aus St. Petersburg kommt diesmal mit ihrem ersten internationalen Plattendeal in der Tasche nach Deutschland. Die Anerkennung können sie gut brauchen, denn dann dürfte ihre Stimme auch zu Hause mehr zählen, wo nach dem Ende des Sozialismus mehr und mehr nur noch das schnelle Geld regiert.

In Hamburg findet gerade das Alternativa Festival St. Petersburg statt, veranstaltet anlässlich der 300 Jahr Feier ihrer Heimatstadt. Während Markscheider Kunst mit ihrem Mix aus Latinbläsersätzen, kongolesischem Surf-Soukouss, Son und Ska Punk hier abgefeiert werden, sind sie bei den offiziellen Festivitäten zu Hause nicht dabei. Sie sagten ab, weil die Veranstalter ihnen nur eine symbolische Gage zahlen wollten. „Typisch, war das“, ärgert sich der Kopf der Band Sergei, „niemand unterstützt die Musik, alles in Russland wird dieser Tage auf die Coca Cola Jugend ausgerichtet. Das Fernsehen besteht nur noch aus Zucker und Titten.“ Von den russischen Medien hält Sergei nicht viel. Vielfalt oder Kunst sind reinem Kommerz gewichen. Gesendet wird etwas nur, wenn jemand dafür bezahlt. Sergei wollte selbst unlängst eine Worldmusic Sendung auf einem privaten Radio machen, da erwiderte man ihm er müsse sich erst selbst einen Sponsor suchen. „Hätte ich Shakira gespielt, hätte ich schnell einen Sponsor gefunden“, ist Sergei’s trockener Kommentar. Er selbst hatte in seiner Jugend mehr Glück: „Hätte ich nie Latinmusik im Radio gehört, sondern nur den Mist der heute in den Medien läuft, würde ich so etwas gar nicht kennen oder gar spielen. Ich hatte Glück, dass in meiner Jugend Ernesto Lecuona & Cuban Boys groß waren. Daher weiß ich heute was Rumba ist und was bullshit.“ Bis Mitte der 80er hatte es gedauert bis in Russland Rock offiziell anerkannt wurde; vorher war jede Form westlicher Musik verboten. Eine Reggaeszene entstand erst Ende der 80er mit Perestroika, als die ersten privaten Radios öffneten und andere Musiken zugänglicher wurden. Der Optimismus ist heute gewichen. Und wenn Markscheider Kunst mit einer Sache nichts zu tun haben wollen, dann mit Politik. „Der Staat unterstützt Kultur nur, wenn er etwas davon hat. Schon während der Perestroika”, erklärt Sergei, “benutzten sie die Rockmusiker und als sie sie nicht mehr brauchten, ließen sie sie fallen, schau wo sie jetzt sind. In der Regierung interessiert sich niemand für Kunst, sie denken nur daran wenn Wahlen sind, sagt ja zu Jelzin, sagt ja zu Putin und dann zeigen sie einen herum wie Eiscreme.“

Die Rettung war für Sergei in den 90ern ein Club in St. Petersburg mit Namen Tam Tam. „Ich danke Gott dafür, dass ich in diesem Umfeld aufwachsen konnte“, erzählt Sergei in gebrochenem Englisch, „dort spielten sich die interessanten Konzerte der Stadt ab. Alle traten dort auf; bis auf die Nazi Bands. Was zählte war die Musik, nicht das Saufen. Viele der russischen Alternativ Bands sind hier groß geworden Leningrad, Tequillajazzz u.v.m. Ich hatte die Ehre 1996 den letzten Auftritt im Tam Tam zu spielen. Am nächsten Tag stand die Maffia gemeinsam (!) mit der Polizei vor der Tür. Das war das Ende. Seitdem geht alles den Bach runter. Heute gibt es noch einen Club der ganz gut ist, das Moloko. Live Musik hat es aber immer schwerer. „Nur noch die Diskotheken, in denen auch gleichzeitig Essen serviert wird, verdienen gut und die setzen auf DJs“, fährt Sergei fort. Die Musiker von Markscheider Kunst studierten Mitte der 90er alle noch, nebenbei spielten sie Rockabilly, später wechselten sie dann zu Blues. „Als wir dann Blues spielten, merkten wir, dass uns jemand fehlte, der so etwas singen konnte. Also sagten wir uns, es wäre gut einen schwarzen Sänger zu haben. Seraphim, der aus dem Kongo kam, studierte mit uns; also fragten wir ihn. Er spielte damals in einer kongolesischen Band und die hatte sich mal wieder zerstritten, weil jemand aus Brazzaville dabei war und jemand aus Kinshasa“, Sergei lacht, “er kam zur Probe, hörte zu und als wir dann fertig waren, sagte er: kennt ihr Soukouss? So kamen wir zum Soukouss.“ Ausgehend vom kongolesischen Soukouss beschäftigten sie sich immer eingehender mit afrokubanischer Musik, entdeckten Rumba, Son, später Merengue, Cumbia, die karibische Musik und damit vor allem Reggae. Gar nicht so leicht in Russland, wo es kaum Cd-Läden gibt, in denen jede Art von Musik vorrätig ist; geschweige denn Radiosendungen, in denen man Hintergrundinformationen finden könnte. Sie hatten Glück, denn Sergei kannte einen der großen „Monster des russischen Rocks“ und der brachte ihnen von seinen Tourneen die neuesten Platten mit. Die Verbindung zwischen Karibik und Russland ist nur auf den ersten Blick überraschend. Schon im Sozialismus gab es enge Verbindungen zu Kuba. „In unserer Kindheit gab es statt den Rolling Stones oder den Beatles Irakere oder Arturo Sandoval im Radio zu hören“, holt Sergei aus, „Kinderfilme wurden mit kubanischer Musik vertont, im russischen Schlager nahmen sie viele dieser ‚exotischen’ Rhythmen auf. Außerdem gibt es, was Harmonie und Melodie angeht, große Ähnlichkeiten mit russischer Ramans (Gypsy) Musik.“

Ihren größten Hit (und legendären Ruf) hatten Markscheider Kunst dann mit dem Song ‘Money’. „Im Song ging es eigentlich um die Legalisierung von Marihuana“, erzählt Sergei, „Freunde von uns hatten zu dem Song ein Video gedreht und das landete dann – ohne unser Wissen - bei MTV Russia, dort zeigten sie es täglich mehrere Male. Das war absolut illegal, aber hat uns bekannt gemacht. Der Text geht so: Für viele Leute ist Geld alles im Leben, für einen Rasta ist das Marihuana. Für viele Leute ist ein schickes Haus alles im Leben, für einen Rastaman ist das Marihuana ...“ Ihr erstes Album Kem Byt mit dem Hit ‚Money’ brachten sie 1998 heraus, gut vier Jahre nach dem sie es aufgenommen hatten. Es erschien damals bei dem kleinen Indie Label Caravan Records; Verkaufspreis ca. 3 Euro. Das russische Plattenbusiness ist hart. Raubkopien sind mehr oder weniger legal. Das geht sogar so weit, dass selbst die großen Plattenfirmen sich mit den Piraten absprechen. Die Piraten warten nach einer Veröffentlichung einige Monate mit dem Raubkopieren, zahlen dafür nur eine kleine „Lizenzgebühr“ an die legale Plattenfirma und bringen dieselbe Cd dann für 2 Euro statt, der für legale Tonträger üblichen, 12 Euro auf den Markt. „Was willst Du machen“, fragt Sergei nüchtern, “15 Euro ist der Mindestlohn in Russland, 70% unseres Publikums sind Studenten und die haben einfach keine 12 Euro für eine Cd.“ Das Ergebnis ist zwingend: “Wenn Du nicht die Rolling Stones bist, verdienst du nichts durch die Plattenverkäufe. Und an Urheberrechte ist im Moment noch gar nicht zu denken, Russland ist ein riesiges Land, wer soll das kontrollieren.“

Es überrascht nicht sonderlich, dass es niemand aus dem russischen Musikbusiness war, der Markscheider Kunst zu ihrem ersten guten Plattendeal bei einem der großen russischen Labels Gala Records verhalf, sondern ein Russe der schon einige Zeit im Ausland lebt. Alexander Kasparov arbeitete früher bei Gala und ist heute der Vize-Präsident von EMI Osteuropa in Berlin. Eines Abends ging er mit dem A&R von Gala Records, in einem Club in St. Petersburg zu einem Konzert von Markscheider Kunst. „Die beste Party der Stadt“, wie eine Moskauer Zeitung unlängst schrieb, brachte auch ihn kurze Zeit später dazu mit den anderen Gästen auf den Tischen zu tanzen. Der örtliche A&R hielt trotzdem nichts von der Idee die Band sofort zu signen. Er war voll Skepsis gegenüber der eigenen Szene, fügte sich dann aber dem Urteil seines Berliner Kollegen. So kamen Markscheider Kunst, als eine der wenigen russischen Bands, an einen Deal mit einer großen Plattenfirma Russlands. Jetzt landet ihre aktuelle CD Krasivosleva über die EMI Verbindung (Gala vertreibt deren Produkte exklusiv in Russland) bei Virgin und erscheint zeitgleich in neun europäischen Ländern. Höchste Zeit das auch der Westen den Osten nicht nur als Ablademarkt für den eigenen Mainstreampop sieht. Weiter so.


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